Ein Roman aus Mosambik, der Zeitgeschichte und persönliche Schicksale in eindringlicher Form verwebt: „ein poetisches Feuerwerk aus leuchtenden Bildern, das lange vor Augen bleibt.“ (Lire)

Der anerkannte Dichter Diogo Santiago kehrt in seine Heimatstadt Beira zurück. Er entstammt einer Familie, die vor der Unabhängigkeit Mosambiks der dominierenden weißen Minderheit angehörte. Während Zyklon Idai bedrohlich über Beira aufzieht, erhält Diogo von Liana Campos, Enkelin eines Geheimpolizisten, unverhofft Einblick in geheime Akten (Tagebücher, Verhörprotokolle und Polizeiakten), die seine Familiengeschichte ins Wanken geraten lassen.

Anfang der Siebzigerjahre, zu Zeiten des Befreiungskampfs Mosambiks gegen die portugiesischen Kolonialtruppen, verübten das portugiesische Militär und der Geheimdienst PIDE grausame Massaker an der Bevölkerung im Landesinneren. So auch im Dorf Inhaminga, wo 1973 über 3000 Menschen ermordet wurden. Diogos Vater Adriano, ebenfalls Dichter, versuchte damals, dieses Verbrechen heimlich zu dokumentieren, landete jedoch im Gefängnis, wurde gefoltert und starb. Nach und nach enthüllen die Akten die Verwicklungen von Diogos Familie und deren Nachbarn in das Massaker: War Adrianos Cousin, der eines Tages plötzlich verschwand, gar nicht der, für den ihn alle hielten? Was hatte der Bruder von Diogos Kinderfreund Benedito, der als Hausboy bei den Santiagos lebte, mit den grausamen Geschehnissen zu tun? Und wie war all das mit der tragischen Legende von der Tochter des Nachbarn verknüpft, die einen Schwarzen liebte, was nicht sein durfte?

Im Versuch, die Geschichte des Landes und seine eigene zu kartografieren, stößt Diogo auf Widersprüche und vielfältige Versionen. Gemeinsam mit Liana, mit der sich Diogo auf rätselhafte Weise verbunden fühlt, geht er auf die Suche nach Antworten.

Mit Der Kartograf des Vergessens (Unionsverlag, 2023, übersetzt von Karin von Schweder-Schreiner) gelingt Mia Couto erneut ein Meisterwerk. Die poetische Sprache spiegelt die nicht rational zu erklärende, magische Ebene eines jeden Lebens. Alle Figuren sind wichtig, nichts ist nebensächlich. Aus den Ereignissen von vor vierzig Jahren ergeben sich Abwesenheiten und die heutigen Lebensentwürfe in einem vom Klimawandel gebeutelten Land. Ein Roman, der uns über persönliche Erzählungen und in feinster literarischer Prosa – auch in der Übersetzung – Zeitgeschichte nahebringt.

„Das Universum ist voll von Geheimnissen. Solange ich hier bin, ist es ein Privileg, die unendlichen Geschichten zu erforschen, die es uns bietet.“ Virgília Ferrão

Virgília Ferrão ist erst die dritte Frau in Mosambik seit der Unabhängigkeit, die Romane veröffentlicht. Gemeinsam mit weiteren mosambikanischen Autorinnen betreibt sie einen Blog und hat eine Anthologie fantastischer Geschichten zusammengestellt. Auch in ihren eigenen Büchern, darunter „O Inspector Xindximila“, „Sina de Aruanda“ und „Os Nossos Feitiços“, haben neben Einflüssen aus US-amerikanischer Populärkultur fantastische Elemente ihren Niederschlag gefunden. Außerdem taucht sie ein in die koloniale Vergangenheit ihres Landes, verhandelt das Erbe der Sklaverei und der portugiesischen Herrscherklasse. All das eingebettet in Fragen des Alltags, der Familie, der Liebe und des Aufwachsens im 21. Jahrhundert.

Im Gespräch mit dem Übersetzer Michael Kegler erzählt Virgília Ferrão von der jungen literarischen Szene Mosambiks, ihrem eigenen Werdegang und den Arbeitsbedingungen und organisatorischen Strukturen der jungen Literat*innen Mosambiks. Eine Lesung und die Einbettung ihres Werks in die lusophone Literatur runden den Abend ab.

Virgília Ferrão, geb. 1986 in Maputo, Mosambik, hat in Maputo und Melbourne Jura studiert. Ihr Debütroman “O Romeu é Xingondo e a Julieta Machangane” erschien bereits 2005. Es folgten “O Inspector de Xindzimila” (2016), “A Sina da Aruanda” (2021), für dessen unveröffentlichtes Manuskript sie als erste Frau den Prémio Literário 10 de Novembro erhielt, und “Os Nossos Feitiços” (2022). Außerdem ist sie Gründerin des Blogs Diário de Uma Qawwi und hat die Anthologie “Espíritos Quânticos. Uma Jornada por entre Histórias de África em Ficção Especulativa” herausgegeben. Auf Deutsch erschien bisher eine Glosse in „Lusophone Kolumnen. Zeitgenössische Alltagsbetrachtungen aus portugiesischsprachigen Ländern“ (dtv München 2022, hg. von Luísa Costa Hölzl, übers. von Michael Kegler). Die Autorin arbeitet als Rechtsberaterin für ein internationales Energieunternehmen.

Michael Kegler, geb. 1967 in Gießen, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Liberia und Brasilien. Seit den Neunzigerjahren übersetzt er Literatur aus dem lusophonen Sprachraum. 2014 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis und 2016, gemeinsam mit dem von ihm übersetzten Autor Luiz Ruffato, den Hermann Hesse-Preis der Stadt Calw. Er ist ein großer Kenner der lusophonen Literaturen und immer auf dem Laufenden über aktuelle Neuerscheinungen.

„Das Wort erschafft die Wirklichkeit. Wer eine Geschichte erfindet, erfindet eine Welt. Es gibt keine wahre Fiktion, da uns jede Fiktion eine Wirklichkeit auferlegt.”

Diese Worte des angolanischen Schriftstellers José Eduardo Agualusa beschreiben auch seine eigene Gabe, Geschichten zu erfinden und mit diesen neue Wirklichkeiten zu erschaffen. Wer sich davon überzeugen möchte, kann dies in einer virtuellen Begegnung mit José Eduardo Agualusa tun. In einem Onlinegespräch mit seinem Übersetzer Michael Kegler unterhalten sich die beiden über Inseln, Winde und Meere, über „die Lebenden und die Anderen“ (Titel seines jüngsten Romans). Zudem bekommen wir eine von Agualusas aktuellen Kolumnen zu hören.

Der Autor wird von seinem Schreiben berichten, von Fiktionen und Wirklichkeiten, vom Schaffen und vom Alltag, von Erlebnissen und Träumen. Das lebendige Gespräch ist offen für die aktive Teilnahme all derer, die das möchten, und bringt uns so der Literatur, ihren Themen und ihrer Rolle für und zwischen uns ein Stück näher.

Lesung und Gespräch: José Eduardo Agualusa und Michael Kegler
Musikalische Begleitung: Dandara Modesto

José Eduardo Agualusa, 1960 in Huambo/Angola geboren, studierte Agrarwissenschaft und Forstwirtschaft in Lissabon. Seine Gedichte, Erzählungen und Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Eine allgemeine Theorie des Vergessens stand auf der Shortlist des Man Booker International Prize 2016. In seinem jüngsten, bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen Roman, “Os vivos e os outros” (2020), stranden einige Autoren unfreiwillig auf einer Insel, die sie wegen eines Unwetters nicht verlassen können. Agualusa lebt als Schriftsteller und Journalist zurzeit in Mosambik.

Michael Kegler, geb. 1976 in Gießen, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Liberia und Brasilien. Seit den 90er Jahren übersetzt er Literatur aus dem lusofonen Sprachraum.2014 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis und 2016, gemeinsam mit dem von ihm übersetzten Luiz Ruffato, den Hermann Hesse-Preis der Stadt Calw. Er übersetzte auch die drei zuletzt auf Deutsch erschienenen Romane von Agualusa. 2021 erscheinen viele Übersetzung großer portugiesischer Autor*innen aus seiner Feder, so u.a. von Sophia de Mello Breyner Andresen, Al Berto und Ana Luísa Amaral.

Dandara Modesto, Sängerin und Musikerin, geb. 1990 in São Paulo, lebt heute in Zürich. Mit ihrem charismatischen Gesang verarbeitet sie verschiedene künstlerische Ausdrucksweisen, von der Musik über Poesie und Performance bis hin zu den bildenden Künsten. Ihr zeitgenössischer, ein “anderes” Brasilien repräsentierender Stil hat seine Wurzeln in der Música Popular Brasileira, steht in der Tradition des brasilianischen Liedguts und der beliebten afrobrasilianischen Rhythmen und bedient sich mit einem Augenzwinkern bei Jazz und Groove.

In ihrem Roman Die Dicke erzählt die portugiesische Schriftstellerin Isabela Figueiredo eindringlich und schonungslos aus dem Leben einer Frau, die als Kind aus Mosambik nach Portugal kommt und dort unter der Erfahrung von Zurückweisung und Verlassenheit erwachsen wird.

Maria Luísa geht durch die elterliche Wohnung in Almada, am Südufer des Tejo, gegenüber von Lissabon. Viele Jahre hat sie dort mit ihren Eltern gewohnt, nun sind beide tot. Auf ihrem Rundgang rufen das Mobiliar und der Nippes Erinnerungen hervor. So entwickelt sich in großen Bögen ihre Lebensgeschichte: ihre Ankunft als 12jährige in einem ihr fremden Portugal, die Zeiten bei Oma und Tanten in der Provinz, das Internat, das Studium in der Hauptstadt, die ersten Romanzen und schließlich die große Leidenschaft und Liebe für den jüngeren Studienkollegen David. Als auch die Eltern aus Mosambik zurückkehren, teilt sie den schwierigen Alltag mit ihnen, mitunter erhellt von glücklichen und unbeschwerten Momente einer verschworenen Gemeinschaft. Und immer wieder der Kampf mit dem eigenen übergewichtigen Körper, ihr „ungezähmtes Monster“, das sie später durch eine Magenverkleinerung bezwingen wird.

Die Zimmer als Resonanzräume von Maria Luísas Leben mit all seinen Abgründen und Illusionen lassen auch das Bild eines Landes entstehen, das sich teils mühsam, teils unbeschwert aus Jahrzehnten von Diktatur, Kolonialismus und einengender konservativer Moralvorstellungen befreit und, wie die Protagonistin, nach Stabilität und Glück ersehnt.

Die Journalistin und Schriftstellerin Isabela Figueiredo wurde 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, in Mosambik geboren und 1975 nach der Nelkenrevolution in Portugal und der Unabhängigkeit Mosambiks zu Verwandten zurück ins Landesinnere Portugals geschickt. In ihrem autobiografischen Bericht, Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit (auf Portugiesisch 2009 erschienen; auf Deutsch 2019, Weidle Verlag), setzte Isabela Figueiredo sich sehr persönlich und kritisch mit dem portugiesischen Kolonialismus in Mosambik auseinander. Ihr Roman, Die Dicke, ist 2021 auf Deutsch bei Weidle Verlag erschienen. Auf ihrem Blog und auf Facebook publiziert Isabela Figueiredo regelmäßig Kurzprosa.

— Aufgrund der pandemischen Entwicklung und der damit verbundenen Absage der Lesereise durch die Autorin, muss die Lesung leider abgesagt werden. Wir bedauern dies sehr und bedanken uns für Ihr Verständnis. —

In ihrem autobiografischen Bericht, Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit (2019, Weidle Verlag), setzt die portugiesische Schriftstellerin Isabela Figueiredo sich sehr persönlich und kritisch mit dem portugiesischen Kolonialismus in Mosambik auseinander.

Die Erzählerin wuchs als junges Mädchen in der Hauptstadt Mosambiks auf, dem heutigen Maputo. Im Zentrum ihrer Erinnerungen steht der Vater der Autorin, der seit den 1950er Jahren in Mosambik lebte und arbeitete. Den ärmlichen Verhältnissen der portugiesischen Provinz entflohen, entfaltet er seine Macht als Weißer, und die Tochter erlebt es hautnah mit. Ihre unschuldige Perspektive ist es, die die vermeintlich so „sanfte“ portugiesische Herrschaft in Übersee als Mythos entlarvt: Der Alltag ist von Diskriminierung, offenem Rassismus, Sexismus und Gewalt gegenüber der einheimischen Bevölkerung geprägt.

Aus der Distanz von vier Jahrzehnten verhandelt Isabela Figueiredo die koloniale Vergangenheit Portugals und stellt sich ihrer eigenen, vor allem der Beziehung zu ihrem Vater. Ihr erschütternder Bericht wurde, als er 2009 nach dem Tod ihres Vaters erstmals in Portugal erschien, sofort zum Skandal, denn der ungeschönte Blick auf die koloniale Vergangenheit war ein Tabubruch.

Die Journalistin und Schriftstellerin Isabela Figueiredo wurde 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, geboren und 1975, nach der Nelkenrevolution in Portugal und der Unabhängigkeit Mosambiks, zu Verwandten zurück ins Landesinnere Portugals geschickt. 2016 veröffentlichte sie den Roman A Gorda (dt. Die Dicke), der mehrfach ausgezeichnet wurde. Auf ihrem Blog publiziert sie regelmäßig Kurzprosa.